Umgang mit unwürdigen Aufgaben

Tücke im Besprechungsraum

Marie

Als frischgebackene Rechtsanwältin mit dem Spezialgebiet Familienrecht war Marie vor zwei Jahren in die altehrwürdige Kanzlei Morianus und Partner eingestiegen. Zusammen mit vier männlichen Kollegen teilte sie sich eine Etage mit gemeinsamer Sekretärin und gemeinsamem Besprechungsraum. Da Marie mit ihrer dunklen Lockenmähne, die sie meistens zu einem weichen Knoten geschlungen trug, und ihren smaragdgrünen Augen deutlich jünger als 30 Jahre aussah, hatte es eine Weile gedauert, bis ihre Kollegen sie als gleichwertige Rechtsanwältin akzeptiert hatten. Doch weil Marie über schier unerschöpfliche Energie verfügte, für ihre Mandanten hervorragende Arbeit leistete und dabei immer gut gelaunt war, hatte sie sich die Anerkennung ihrer Kollegen erarbeitet. 

Nur mit Philipp, dem Fachanwalt für Erbrecht, hatte sie ein Problem. 5 Jahre älter als Marie gab er ihr das Gefühl, dass er sie nicht für voll nahm. Äußerlich wirkte er ein wenig geschniegelt. Dünne, hellblonde Haare, mit exaktem Seitenscheitel aus der Stirn gekämmt, thronten über einem länglichen Gesicht mit schmaler, ein wenig gebogener Nase. Eine große Hornbrille verdeckte die blassblauen Augen. Er trug immer Anzüge mit Einstecktuch, auch am Casual Friday. Zu seinen männlichen Kollegen hatte er einen guten Kontakt, soweit Marie das beurteilen konnte, aber ihr nickte er höchstens kurz zu. Ansonsten war sie für ihn Luft. Doch damit konnte Marie leben.

BesprechungsraumWas sie wirklich störte, war sein Verhalten im Besprechungsraum: Immer wenn Marie nach ihm das Besprechungszimmer im Plan eingetragen hatte, standen die Überreste seiner Besprechung noch auf dem Tisch. Leere Kaffeetassen, schmutzige Teller, Brösel, zerknülltes Papier. Marie musste dann immer ganz schnell alles aufräumen, bevor ihre Mandanten hereinkamen. Mittelrweile hatte sie sich schon angewöhnt, den Raum 15 Minuten vor Besprechungsbeginn zu kontrollieren. Sie hatte Philipp auch bereits auf sein Verhalten angesprochen, doch er hatte nur gemeint, sie solle es halt der Sekretärin, Frau Langer, sagen, die würde das schon aufräumen. 

Als sie an diesem Morgen auf den Plan sah, stellte sie fest, dass nach Philipp noch Alex, Fachanwalt für Arbeitsrecht, den Raum belegt hatte, bevor sie die Besprechung mit Familie Andergast hatte. „Das ist mir aber angenehm, dass Alex vor mir im Raum ist“, dachte sie, während sie eine Viertelstunde vor dem Termin zum Besprechungsraum ging, um ihn zu inspizieren. Als ihr Blick in den Raum glitt, sah sie, wie Alex gerade drei leere Tassen auf das Tablett stellte.
„Es ist schön, dass du hier abräumst und diese Aufgabe nicht mir hinterlässt“, freute sich Marie.
„Das ist doch selbstverständlich. Jeder räumt seinen Dreck selbst weg, so dass der nächste Kollege immer einen sauberen Raum vorfindet. Das wurde vor langer Zeit beschlossen und ist ungeschriebenes Gesetz im Hause Morianus. Weißt du das nicht? Es ist doch keine große Sache, wenn jeder das Tablett nach der Besprechung in die Teeküche mitnimmt.“
KellnerAlex grinste Marie verschmitzt an. „Die Zeiten, in denen wir hinten und vorne bedient wurden, sind leider vorbei. Immerhin verwöhnt uns Frau Langer und bringt uns frischen Kaffee und Kekse.“
„Hat Philipp vorhin auch alles selbst weggeräumt?“
Marie fragte ganz vorsichtig, da sie Philipp nicht gleich anschwärzen wollte.
„Ja, natürlich. Macht er doch immer. Aber warum fragst du?“ Alex war verwundert.
„Ach, ich wollte es nur wissen“, wich Marie aus und wechselte dann schnell das Thema.

„Das macht er also nur bei mir“, murmelte Marie vor sich hin, als Alex den Raum verließ. Der Tisch war mustergültig sauber.

Wie soll Marie mit dieser Situation umgehen? (Abstimmung)

1. Sie sagt nichts und räumt den Raum weiter auf wie bisher. (12,5%)

2. Sie bittet ihn noch einmal höflich, den Raum sauber zu verlassen.(12,5 %)

3. Sie bittet jedes Mal die Sekretärin, den Raum aufzuräumen.(0%)

4. Sie erzählt es seinen Kollegen.(0%)

5. Sie sagt es ihrem Chef.(0%)

6. Sie fragt ihn ganz direkt, weshalb er seinen Abfall bei den anderen Kollegen aufräumt und bei ihr nicht.(25%)

7. Sie fordert von ihm ein, den Raum so sauber zu verlassen, wie es üblich ist und wie er das bei allen anderen Kollegen ebenfalls macht.(50%)

Die Auflösung der Geschichte mit Reaktion 2

Freeze auflösen… „Das macht er also nur bei mir“, murmelte Marie vor sich hin, als Alex den Raum verließ. Der Tisch war mustergültig sauber.

Während Marie in ihr Büro zurückging, überdachte sie die Situation. Sie verstand nicht, weshalb Philipp sich ihr gegenüber anders verhielt als seinen Kollegen gegenüber. Es hatte in der Vergangenheit keine Differenzen zwischen ihnen gegeben, die sein Verhalten rechtfertigen könnten. Sie beschloss, abzuwarten, ob sie den Raum beim nächsten Mal wieder unaufgeräumt vorfand. Wenn das der Fall war, dann würde sie ihn noch einmal höflich darum bitten, den Raum sauber zu hinterlassen.
Sie musste nicht lange warten. Zwei Tage später war es soweit. Sie räumte alles weg, brachte das Mandantengespräch hinter sich und schaute dann bei Frau Langer in Philipps Terminkalender. Da er die nächsten beiden Stunden keine Termine hatte und in seinem Büro arbeitete, machet sie sich gleich auf den Weg zu seinem Büro. Sie klopfte leise an und trat dann ein. Unwillig über die Störung sah Philipp auf und behielt die genervte Miene demonstrativ bei, als er Marie erblickte.
„Hallo Philipp, tut mir Leid, dass ich dich störe. Aber ich möchte mit dir noch einmal über den Besprechungsraum reden. Du hast heute wieder einfach alles stehen lassen und ich musste alles abräumen. Wen ich nicht jedes Mal vorher nachsehen würde, käme ich mit meinen Mandanten in einen unaufgeräumten Besprechungsraum. Das wäre wirklich sehr peinlich für die Kanzlei. Deshalb möchte ich dich bitten, den Raum künftig sauber zu hinterlassen.“Leere Tasse
Schlagartig wurde Philipps Miene freundlicher und er blickte sie treuherzig mit einem kleinen Lächeln an. „Ach Marie, ich weiß doch, dass du den Raum vorher kontrollierst und ich mich auf dich verlassen kann. Ich würde der Kanzlei nie absichtlich Schaden zufügen. Weißt du, ich habe im Moment so wahnsinnig viel zu tun und hatte gleich nach meinem Meeting einen echt dringenden Anruf. Ich habe es einfach nicht geschafft, auch noch aufzuräumen. Zum Glück sind wir beide so ein gutes Team und da bin ich dir echt dankbar dafür. Ich weiß nicht, was ich ohne dich täte.“
Marie wusste nicht Recht, was sie davon halten sollte. Meinet er es ernst mit dem guten Team oder nützte er sie nur aus? War es naiv, wenn sie ihm glaubte, dass er ihr für die Unterstützung dankbar war? Sie beschloss, ihm nicht gleich das Schlimmste zu unterstellen und lenkte ein. „Es freut mich, dass du uns als gutes Team siehst. Aber ich möchte dich trotzdem darum bitten, den Tisch im Besprechungszimmer selbst abzuräumen. Das ist nicht meine Aufgabe.“
„Ja, ist ja gut. Mach ich schon“, brummte Philipp unwillig und blickt dann auf die vor ihm liegenden Unterlagen. Damit gab er Marie zu verstehen, dass sie aus dem Gespräch entlassen war. Sie wartete noch kurz, doch als Philipp sie nicht weiter beachtete, drehte sie sich um und verließ sein Büro.

„Das ist ganz gut gelaufen“, freute sich Marie. „Ich habe ihm zweimal gesagt, dass er in Zukunft selbst aufräumen soll. Das muss er jetzt doch kapiert haben.“ Sie sah gleich im Belegungsplan nach, wann sie das nächste Mal nach Philipp den Raum benutzen würde. Es war der Donnerstagmorgen in der kommenden Woche. Gespannt betrat sie an diesem Tag den Besprechungsraum wie immer eine Viertelstunde vor dem Gespräch, blicket zum Tisch und stieß einen enttäuschten Seufzer aus: auf dem Tisch standen vier leere Kaffetassen, Teller und benutzte Servietten. Ihre freundliche Bitte hatte überhaupt nichts gebracht.

Kurzanalyse: Philipp lädt eine unliebsame Aufgabe bei Marie ab. Er vertraut darauf, dass Marie tut, was er will, und sich nicht zur Wehr setzt. Ihre höfliche Bitte nimmt er nicht ernst. Er geht einfach darüber hinweg. Damit zeigt er Marie, dass er sie nicht als gleichwertige Kollegin achtet. Marie begegnet Phillip nicht entschieden genug und kann sich mit ihrer höflichen Bitte nicht durchsetzen.

Wie fühlt sich Marie: Ich bin sehr enttäuscht von Phillips Verhalten und ich fühle mich ausgenutzt. Ich ärgere mich auch über mich selbst, dass ich ihm geglaubt habe und er mich ausgetrickst hat. Das lässt mich so naiv erscheinen. Aber er hat mir zugesichert, dass er künftig aufräumt. Dieses Versprechen hat er nicht gehalten. Ich bin im Moment ratlos, wie ich ihn dazu bringen soll, den Raum sauber zu hinterlassen.

Wie fühlt sich Philipp: Marie soll sich nicht so anstellen. Es ist doch für sie als Frau eine Kleinigkeit, dass sie die paar Sachen in die Küche trägt. Macht sich immer lieb Kind beim Chef, dann kann sie auch für mich was tun. Außerdem ist sie viel zu höflich und rücksichtsvoll für eine Anwältin. Es ist eine gute Übung für sie, mich davon zu überzeugen, dass ich den Tisch selbst abräumen soll.

Die Auflösung der Geschichte mit Reaktion 7

Freeze auflösen… „Das macht er also nur bei mir“, murmelt Marie vor sich hin, als Alex den Raum verlässt. Der Tisch ist mustergültig sauber.

Während Marie in ihr Büro zurückgeht, überdenkt sie die Situation. Sie ist ziemlich wütend und versteht nicht, weshalb Philipp sich ihr gegenüber anders verhält als seinen Kollegen gegenüber. Es gab in der Vergangenheit keine Differenzen zwischen ihnen, die sein Verhalten rechtfertigen könnten. „Ob er mich nur ärgern oder mich mit dieser unwürdigen Aufgabe demütigen will, weiß ich nicht“, grummelt sie vor sich hin, „aber das ist mir auch egal. Es ist jedenfalls eine große Unverschämtheit und ich lasse mir das nicht gefallen.“

Sie beschließt, die Angelegenheit möglichst sofort zu klären und macht sich auf den Weg zu Frau Langer, um Philipps Termine einzusehen. Da er heute keinen Termin außer Haus oder bei Gericht hat, mit dem er sich herausreden kann, geht sie entschlossen auf sein Büro zu und klopft kräftig an. Sie tritt ins Zimmer und überfällt Philipp gleich mit einem ganzen Wortschwall. „Hallo Philipp, wie ich gerade von Alex erfahren habe, ist es hier bei Morianus ein ungeschriebenes Gesetz, das Besprechungszimmer sauber zu hinterlassen. Und alle Anwälte kümmern sich selbst darum. Nur du hinterlässt den Raum unaufgeräumt. Und, wie es scheint, nur wenn ich nach dir den Raum nutze. Das ist überhaupt nicht in Ordnung und ich habe es satt, jedes Mal deinen Dreck wegzuräumen.“ Philipp setzt eine genervte Miene auf und gibt Marie damit zu verstehen, dass sie ihn stört. Marie ist das egal. Sie verschränkt die Arme vor der Brust und erwidert seinen Blick grimmig. Schweigend wartet sie auf seine Antwort.

Kaffee„Mach doch nicht so ein Gedöns um das bisschen Geschirr. Das ist doch gleich weggeräumt“, versucht Philipp die Wogen zu glätten. „Nein, Philipp“, beharrt Marie auf ihrem Standpunkt, „das ist es nicht. Ich habe dich schon mehrmals gebeten, aufzuräumen, aber du ignorierst das einfach. Ich weiß nicht, wie ich das interpretieren soll. Alex sagte mir, dass er immer ein sauberes Besprechungszimmer vorfindet, wenn er nach dir einen Termin hat. „Du hast mit Alex darüber geredet?“, fällt ihr Philipp ins Wort und zieht eine Augenbraue hoch. „Nein, wenn du es genau wissen willst, ich habe nicht mit ihm darüber geredet. Ich bin keine Petze. Ich habe ihm gedankt, weil er aufgeräumt hat und da hat er es mir von sich aus erzählt. Trotzdem werde ich deinen Dreck nicht mehr wegräumen. Ich fordere dich jetzt zum letzten Mal auf, dass du das Besprechungszimmer so hinterlässt, wie es in diesem Hause üblich ist. Kann ich mich darauf verlassen?“ Philipp atmet schwer in und stößt beim Ausatmen einen undefinierbaren Laut aus, den Marie als Zustimmung interpretiert. Dann blickt er auf seinen PC. Das Gespräch ist für ihn beendet. Marie soll jetzt gehen.

Marie ist nicht davon überzeugt, dass Philipp sich an seine unklare Zusage hält und beschließt, ihn zu testen. Sie prüft, wann das nächste Mal unmittelbar nach Philipp der Raum noch frei ist, und trägt für diese Zeit, Donnerstagnachmittag um 14 Uhr, einen Termin für eine Stunde ein. Um 15.30 Uhr benutzt Alex den Raum für ein Gespräch mit zwei Kollegen aus dem Haus. Das ist ideal, denn damit ist das Ansehen der Kanzlei nicht in Gefahr. Gespannt wartet sie auf Donnerstag. Eine Viertelstunde vor ihrem Termin inspiziert sie den Raum und, siehe da, wie befürchtet steht das benutzte Geschirr noch auf dem Tisch. Grinsend geht sie zurück in ihr Büro und wartet ab.

Um 17 Uhr kommt Alex ins Büro und fragt verwundert: „Marie, was ist los? Warum hast du das Geschirr stehen lassen? Wir haben doch vor ein paar Tagen erst darüber gesprochen, dass wir selbst alles wegräumen. Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht.“ Marie tut ganz erstaunt und erklärt scheinheilig, wenn auch mit schlechtem Gewissen, „Das muss von meinem Vorgänger sein. Mein Termin ist ausgefallen. Ich habe den Raum nicht benutzt. Wer war denn vor mir im Raum?“ Alex stutzt kurz, blickt Marie lange und nachdenklich an. „Ich werde mal nachsehen. “ Mit einem Lächeln auf den Lippen verlässt er den Raum.

Kurzanalyse: Philipp lädt eine unliebsame Aufgabe bei Marie ab. Obwohl Marie von ihm ganz deutlich einfordert, den Raum sauber zu verlassen, ignoriert er diese Forderung. Damit zeigt er Marie, dass er sie nicht als gleichwertige Kollegin achtet. Doch er unterschätzt sie und tappt am Ende in eine Falle, die er sich selbst gestellt hat.

Wie fühlt sich Marie: Ich bin sehr verärgert über Philipps Verhalten und lasse mich nicht länger von ihm ausnutzen. Ich habe mit ihm gesprochen und ihm meinen Standpunkt klar gemacht, aber das ignoriert er. Jetzt hat er sich selbst in eine peinliche Situation gebracht, die er mir nicht anlasten kann. Das tut mir nicht Leid. Ich hoffe, er nimmt mich in Zukunft ernster.

Wie fühlt sich Philipp: Marie soll sich nicht so anstellen. Es ist doch für sie als Frau eine Kleinigkeit, dass sie die paar Sachen in die Küche trägt. Die Angelegenheit hat dann eine unangenehme Wendung genommen und ich bin vor meine Kollegen schlecht dagestanden. Ich vermute, dass Marie das geplant hat und dafür muss ich ihr, widerwillig, Respekt zollen. Sie hat mich mit meinen eigenen Waffen geschlagen. Solche Scherze werde ich mir bei Marie nicht mehr erlauben.

Eure Einschätzung ist gefragt

Wie würdet ihr so einer Situation reagieren? So wie vorgeschlagen oder ganz anders? 

Welche vorgeschlagene Reaktion findet ihr am besten? Gerne könnt ihr eure Meinung hier kundtun und über das Ende der Geschichte mitbestimmen.

 

 

Ich wünsche euch allen eine schöne Weihnachtszeit.

 

 

 

 

Auswertung der Abstimmung:

Reaktion 1:  12,5 %

Reaktion 2: 12,5 %

Reaktion 3: 0 %

Reaktion 4: 0 %

Reaktion 5: 0 %

Reaktion 6: 25 %

Reaktion 7: 50 %

2 Gedanken zu „Umgang mit unwürdigen Aufgaben

  1. Folgende Version fehlt uns noch:
    Direkte Einforderung des üblichen Umgang mit der Sauberkeit des Besprechungsraums, auch bei ihr.
    Bei 6. besteht die Gefahr, dass er eine blöde Ausrede findet, auf die sie dann eingehen muss. Es ist keine große Diskussion nötig, die durch diese Reaktion eventuell hervorgerufen wird.

    1. Das ist schon richtig. Eine direkte Einforderung des üblichen Umgangs macht schon Sinn. Ich werde sie als 7. Alternative dazuschreiben.

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