Reden ist Silber, Zuhören ist Gold
„Wenn ich gewusst hätte, dass du mit einer „kleinen Radtour“ eine Strecke von 60 km meinst, wäre ich zuhause geblieben“, maulte Kirsten, da sie nun schon über zwei Stunden auf ihrem Trekkingrad saß. „Mir tut der Hintern weh!“
Jessica lachte. „In ungefähr einem Kilometer kommt ein kleiner Kiosk mit einem kleinen schattigen Biergarten. Da machen wir Pause.“
Erleichert atmete Kirsten auf. Jessica, eine große, schlanke Blonde und Kirstens beste Freundin, war immer schon eine Sportskanone gewesen und ehrgeizig obendrein. Mit ihren langen, durchtrainierten Beinen war es kein Wunder, dass sie Kilometer um Kilometer in die Pedale treten konnte, dachte Kirsten. Im Gegensatz zu Jessica war Kirsten eher klein und wohlgerundet, wie sie sich selbst gerne beschrieb. Halblange, dunkle Haare und Augen von der Farbe geschmolzener Schokolade verbunden mit einem dunklen Teint ließen Kirsten leicht exotisch wirken. Um ihre überflüssigen fünf Kilo zu bekämpfen, die sich hartnäckig an ihren Hüften und Beinen hielten, ging sie regelmäßig walken und hielt sich durchaus für sportlich. Doch nun hatte Jessica sie zu einer Radtour überredet und das brachte sie an ihre Grenzen.
Zum Glück kam der Kiosk bald in Sicht. Während sich Kirsten am Kiosk anstellte und zwei große Apfelschorlen holte, hatte sich Jessica im Garten an einen Tisch zu einem jungen Paar gesetzt. Sie war mitten in einer lebhaften Unterhaltung, als Kirsten mit den Getränken ankam. Nach kurzer Zeit erhob sich das Paar und verließ den Biergarten.
Der Trick beim Smalltalk
„Wie kommst du nur immer so schnell mit wildfremden Menschen ins Gespräch?“, wollte Kirsten wissen. Sie erzählte, dass sie in der vergangenen Woche als einzige Vertreterin ihrer Firma auf einer Fachtagung für Arbeits- und Umweltsicherheit war. Die Themen waren sehr interessant und Kirsten konnte für ihr Aufgabengebiet als Sicherheitsbeauftragte ihrer Firma wertvolle Anregungen mitnehmen. Doch in den Kaffepausen und beim Mittagessen hatte sie sich unwohl gefühlt, da sie niemandem kannte und es ihr schwer fiel, spontan Kontakte zu knüpfen.
„Ich tue mich mit Smalltalk echt schwer. Vorgestern auf der Tagung wusste ich nicht, wie ich ein Gespräch beginnen sollte.“
Jessica lächelte und blickte Kirsten an. „Beim Smalltalk ist der erste Satz der schwierigste. Doch es gibt einen kleinen Trick, mit dem man das Eis schnell brechen kann: stelle der Person neben dir ein paar Fragen. So gut wie jeder Mensch liebt es, über sich selbst zu sprechen.“
So einfach war das also? Das musste Kirsten erst einmal verdauen. Sie hatte sich so krampfhaft bemüht, eine originelle und intelligente Bemerkung zu machen, um ein Gespräch dem Mann neben ihr zu beginnen, dass ihr am Ende gar nichts eingefallen wir und sie nur stumm ihren Kaffee getrunken hatte.
„Es ist ganz egal, ob du auf einer beruflichen Veranstaltung oder auf einer Party mit jemandem ins Gespräch kommen willst. Die Person neben dir hat vermutlich das gleiche Problem und ist dankbar, wenn du einen Anfang machst. Also schau die Person direkt an und lächle freundlich und dann stelle eine Frage. Ich persönlich halte am Anfang immer eine höfliche Distanz. Also auf der Tagung würde ich zum Beispiel zunächst fragen: 'Hatten Sie eine gute Anreise?' oder 'Sind Sie erst heute früh angereist?' Damit signalisierst du Interesse, wirkst freundlich und höflich, aber nicht neugierig und aufdringlich. An der Reaktion merkst du dann, welche Anschlussfragen die passenden sind. Etwa, wo die Person herkommt, was sie beruflich macht, von welchem Unternehmen sie kommt und welchen Eindruck sie von der Tagung bisher hat. Übrigens haben viele Menschen dann das Gefühl, ein gutes Gespräch geführt zu haben, wenn sie selbst dabei am meisten geredet haben.“
Kirsten lachte, „Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Bei uns in der Firma gibt es so einige, die sich selbst am liebsten reden hören. Frederica zum Beispiel, die kennst du ja auch. Die findet nie ein Ende.“
Jessica nickte zustimmend und trank ihre Apfelschorle aus. „So, genug geplaudert, auf zur nächsten Etappe.“
Hochmut kommt vor dem Fall
Die halbe Stunde Pause erschien Kirsten bei weitem nicht lange genug und so suchte sie fieberhaft nach einer Frage, mit der sie die unvermeidliche Weiterfahrt noch etwas hinauszögern konnte. Gerade als Jessica sich erheben wollte, fiel ihr die passende Frage ein. „Sag mal, hast du es schon erlebt, dass jemand sich abweisend verhalten hatte, wenn du ihn so smalltalk-mäßig angesprochen hast?“
Jessica lehnte sich wieder zurück und dachte kurz nach. Dann grinste sie über das ganze Gesicht. „Ja, einmal war es echt krass. Der Mann, groß, schlank, Ende 30, war so von sich eingenommen, dass es unter seiner Würde war, in der ersten Kaffeepause eines Verkaufsseminars mit mir zu sprechen. Das war ein richtig eingebildeter Vollidiot. Er hat auf zwei Fragen von mir nur einsilbig geantwortet und sich dann weggedreht und mit dem Mann auf seiner anderen Seite, den er offensichtlich vorher nicht gekannt hatte, ein Gespräch begonnen. Da habe ich ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt.“
Mit großen Augen musterte Kirsten ihre Freundin. „Das ist ja unglaublich unhöflich! Was hast du dann getan?“
Auf diese Frage zuckte Jessica mit den Schultern. „Nichts. Was hätte ich schon tun können. Ich hatte dann noch ein nettes Gespräch mit einer Frau, die sich zu uns an den Tisch stellte. Aber die Strafe für den Herrn folgte auf dem Fuß!“
Gespannt neigte sich Kirsten zu Jessica und forderte sie auf, weiterzuerzählen.
„Während des Nachmittags wählte der Seminarleiter ausgerechnet den 'Vollidioten' und mich für eine gemeinsame Gruppenübung aus. Er spielte den Verkäufer und ich die Kundin und er musste versuchen, mich während dieser Übung zu einem Zusatzkauf zu bewegen. Zu einem Gebrauchtwagen sollte ich gleich neue Winterreifen kaufen, obwohl es erst Juni war. Was soll ich sagen? Ich habe mich sehr interessiert gezeigt und zum Schluss habe ich dankend abgelehnt. Das war ganz schön peinlich für ihn, denn die drei Übungsverkäufer vor uns konnten ihre Übungskunden alle zu einem Zusatzkauf überreden. Das war sicher nicht ganz fair von mir, aber ich konnte einfach nicht widerstehen, ihn auflaufen zu lassen.“
Diese Reaktion war typisch für Jessica. Sie ließ sich nichts gefallen und dafür bewunderte Kirsten sie, denn sie selbst war in diesen Dingen nicht so konsequent und hätte sich niemals getraut, so zu handeln wie Jessica.
„Und was lernen wir daraus?“, fragte Jessica, „Man sieht sich immer zweimal. Gehe also freundlich auf deine Mitmenschen zu und zeige Interesse an ihnen. Das zahlt sich meistens aus.“
Damit hatte Jessica sicher recht, ging es Kirsten durch den Kopf und sie beschloss, den Trick mit dem Fragen stellen bei nächster Gelegenheit auszuprobieren. Als Jessica jetzt schwungvoll aufstand, erhob sie sich ebenfalls und, den Kopf voller Gedanken zum Thema Smalltalk, strampelte sie hinter Jessica her.
Menschen finden ein Gespräch umso besser, je länger die eigene Redezeit ist: Bringt eure Gesprächspartner deshalb zum Reden und hört mehr zu, als dass ihr selbst redet. So bleibt ihr in angenehmer Erinnerung.
Kleiner Tipp zum Smalltalk