Die Kunst des Verhandelns

"Bei Stellenanzeigen, in denen angekündigt wird, dass das Gehalt Verhandlungssache ist, bewerben sich wesentlich mehr Männer als Frauen." 
Ergebnis einer Untersuchung von Andreas Leibbrandt und John List

Doch nur Mut, verhandeln ist gar nicht so schwer, wie die folgende Geschichte zeigt:

Zwei Tricks für mehr Lohn

Bar - VerhandelnGestern war Annabell, eine kleine drahtige Frohnatur mit keck wippendem, blonden Pferdeschwanz, nach der Arbeit mit zwei Kollegen noch in einer Bar. Nach drei Bierchen rühmte sich Johannes, der als Auftragssachbearbeiter am Schreibtisch direkt gegenüber von Annabell saß, dass er bei der Gehaltsverhandlung letzte Woche ein deutliches Plus herausgeschlagen hatte, und kam auch gleich mit den Zahlen rüber. Er hatte nun brutto 500 Euro mehr als Annabell in der Lohntüte, obwohl er die gleiche Arbeit machte. Das fand Annabell ganz schön happig. Sie mochte Johannes mit seinen dunklen, lockigen Haaren und den azurblauen Augen sehr gerne, trotzdem ärgerte sie sich darüber, dass er nun so viel mehr verdiente als sie.

Nachdem sie eine Nacht darüber geschlagen hatte, fasste sie am Morgen den Entschluss, bei ihrem jährlichen Mitarbeitergespräch, das in der kommenden Woche anstand, ebenfalls eine Gehaltserhöhung zu verhandeln. Das hatte sie bisher noch nie getan und sie wusste nicht so recht, wie sie das angehen sollte. Während sie ein Brötchen mit Butter und Himbeer-Pfirsich-Marmelade bestrich, überlegte sie, wen sie zu diesem Thema befragen könnte. Am besten wäre Carla aus ihrer Bowlinggruppe geeignet. Als Personalleiterin eines Maschinenbauunternehmens könnte sie ihr sicher weiterhelfen.

Gesagt, getan. Carla hatte am Samstagnachmittag Zeit und so trafen sie sich um 15 Uhr in Carlas Lieblingscafe Tartufo. Lohn - VerhandelnAls Annabell schilderte, dass Johannes für die gleiche Arbeit deutlich mehr bekam, lächelte Carla. „Das ist so typisch. Die Kerle sind einfach besser im Verhandeln. Die meisten Frauen trauen sich nicht, mehr Geld zu fordern, und sind mit den kleinen Beträgen, die die Vorgesetzten von sich aus anbieten, zufrieden.“
Annabell fühlte sich ertappt und spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Hoffentlich bemerkte Carla das nicht, aber diese sprach unbeirrt weiter. „Dabei ist es gar nicht so schwer, besser zu verhandeln und Frauen sind von ihren Anlagen her die besseren Verhandler.“
Nun wurde Annabell neugierig. „Wie meinst du das, von den Anlagen her?“

Frauen sind die besseren Verhandler
„Frauen haben ein großes Einfühlungsvermögen. Sie merken schnell, in welche Richtung die Interessen des Verhandlungspartners gehen. Sie können gut Beziehungen aufbauen und neigen nicht zur Selbstüberschätzung. Das sind alles Vorteile, egal in welcher Verhandlung. Aber zurück zu deinem Problem. Du möchtest vermutlich wissen, wie du vorgehen sollst, um ebenso viel wie Johannes zu verdienen.“
Annabell nickte bestätigend. „Ich wäre schon mit der Hälfte der Differenz zufrieden. Das wären 250 Euro.“
Carla rollte die Augen. „Annabell! Gerade habe ich gesagt: Frauen sind ganz schnell mit kleinen Beträgen zufrieden. Das habe ich nicht positiv gemeint!“
„Ja, tut mir Leid, du hast ja Recht.“ Verlegen nippte Annabell an ihrem Kaffee. Die Äußerung war ihr peinlich und sie bereute schon, Carla überhaupt gefragt zu haben. Doch Carla, die ahnte, was in Annabell vorging, legte ihr besänftigend die Hand auf den Arm. „Ich wollte dich nicht angreifen. Entschuldige.“
Dann sprach sie gleich weiter. „Die Frage ist jetzt, wie gehst du die Sache am besten an. Also, bereite dich sorgfältig vor. Setz dir dabei ein klares, eindeutiges Ziel, was du bei deiner Chefin …?“, Carla meinte sich zu erinnern, dass Annabells Vorgesetzte eine Frau war und Annabell nickte bestätigend, „…erreichen möchtest. Überleg dir gute, überzeugende Argumente, weshalb du glaubst, dass deine Arbeit mehr wert ist. Und denk dran, deine Chefin weiß, dass Johannes für die gleiche Arbeit mehr bekommt. “

Verhandeln 1Das Verhandlungsfeld
Dann beugte sie sich näher zu Annabell und raunte ihr geheimnisvoll zu: „Und jetzt verrate ich dir noch zwei Tricks, die du immer anwenden solltest: Als erstes ist wichtig, dass du weißt, wie es weitergeht, wenn die Verhandlung platzt. Also, was machst du, wenn deine Chefin Nein sagt? Suchst du dir eine andere Abteilung, eine andere Firma oder bleibst du still und brav unterbezahlt an deinem Arbeitsplatz? Wenn du hier eine gute Möglichkeit für dich findest, hast du eine ganz andere Position beim Verhandeln. Überlege dir dann, wie wichtig du für deine Chefin bist. Was verliert sie, wenn du gehst? Dieser Spielraum bildet dein Verhandlungsfeld." 

Scherzhaft droht Carla Annabell mit dem Finger. „Aber wende das ja nie mir gegenüber an!“
Annabell grinste. „Netter Trick. Da wäre ich nie drauf gekommen. Aber natürlich, das leuchtet ein. Als ich neulich mein Auto verkauft habe, habe ich zum Käufer gesagt, ich habe noch einen Interessenten, der den vollen Preis zahlt, weil es auch so war, und daraufhin hat der Käufer am Preis überhaupt nicht mehr rumgemäkelt. Mit einem Ass im Ärmel kann man ganz anders pokern.“ Nachdem sie diese Weisheit von sich gegeben hatte, schaufelte sie genussvoll ein großes Stück Kirschkuchen in sich hinein. Das Gespräch wurde langsam immer besser. „Und, was ist der zweite Trick?“, wollte sie gleich darauf wissen.

Anker - VerhandelnDer Ankereffekt
Carla schwenkte ihre Kuchengabel durch die Luft und unterstrich damit ihre Worte: „Das ist der Ankertrick. Der Anker ist die Zahl, die als erste beim Verhandeln genannt wird. Dieser erste Eindruck bleibt bei der anderen Partei haften. Diese Zahl sollte von dir kommen und möglichst hoch, aber noch nachvollziehbar sein. Dann macht dir deine Chefin normalerweise ein Gegenangebot. Dabei verschiebt sich die „goldene“ Mitte zu deinen Gunsten, je höher dein erstes Angebot ist. Sag also nicht 500 Euro, die du ja eigentlich willst, denn dann landet ihr vermutlich bei einer niedrigeren Zahl. Sag aber auch nicht 1.000 Euro, denn das wäre übertrieben. Gut wären beispielsweise 700 Euro. Also wenn du 500 sagen würdest, sagt sie vielleicht 250, aber wenn du 700 sagst, fängt sie vermutlich gleich bei 350 an, weil 250 im Vergleich zu 700 zu niedrig erscheinen. Und dann kommt ihr euch immer weiter entgegen und trefft euch irgendwo in der Mitte.“

Verwundert schüttelt Annabell den Kopf. Über diese Zusammenhänge hatte sie sich noch nie Gedanken gemacht. Bei Carla klang das alles so einfach.
„Probier es einmal aus. Wenn du eine gute Alternative in der Hinterhand hast, für den Fall, dass sie Nein sagt, kann nicht viel passieren.“

Bowling - VerhandelnDer Lohn: mehr Lohn
Zehn Tage später trafen sich die beiden bei ihrem wöchentlichen Bowlingabend. Noch bevor Carla ihre Bowlingschuhe angezogen hatte, kam Annabell schon strahlend auf sie zu. „Es hat super geklappt. Das Verhandeln war gar nicht so schwierig. Ich wusste genau, was ich wollte und die Chefin, Frau Darnow, hat sich nicht gesperrt. Sie hat ein paar Mal nachgefragt, aber ich hatte meine Argumente parat und konnte sie überzeugen. Und das mit dem Anker, mit 700 und 350 und Einigung bei 500 Euro hat wie aus dem Lehrbuch geklappt. Ich musste innerlich grinsen dabei und konnte es gar nicht glauben, aber es hat perfekt funktioniert. Herzlichen Dank für deine Unterstützung. Heute Abend bist du mein Gast. Also iss und trink alles, was dein Herz begehrt.“
Carla lachte laut und hob die Hand zum High Five. Annabell schlug klatschend ein, dann widmeten sie sich fröhlich ihrem Bowlingspiel.

Gut verhandeln: Mit einfacher Technik große Wirkung erzielen

  1. Vorbereitung
    Bei der Vorbereitung für eine Verhandlung solltet ihr euch ein klares, eindeutiges Ziel setzen, das ihr erreichen wollt. Je mehr schlagkräftige Argumente ihr habt, umso deutlicher könnt ihr eure Position vertreten, aber nur, wenn ihr selbst davon überzeugt seid.
  2. Verhandlungsspielraum
    Wichtig ist es, die beste Alternative zu kennen, die ihr habt, wenn die Verhandlung platzt. Macht euch auch bewusst, was der andere in diesem Fall zu verlieren hat. Dieser Spielraum ist das Verhandlungsfeld.
  3. Eine Beziehung zur anderen Partei aufbauen
    Vertrauen und Sympathie beeinflussen jede Verhandlung. Sucht Anknüpfungspunkte oder fragt nach persönlichen Punkten, wobei ihr Gemeinsamkeiten betonen solltet. Ihr könnt auch den Helferkomplex vieler Männer nutzen und die andere Partei um ihren Rat fragen. Zeigt Wertschätzung und Verständnis.
  4. Der Ankereffekt
    Die Zahl, die als erstes Angebot genannt wird, ist der Anker. Dieser erste Eindruck beeinflusst die Erwartungen der anderen Partei. Das Angebot sollte möglichst hoch, aber noch nachvollziehbar sein. Macht die andere Partei ein Gegenangebot, verschiebt sich die „goldene“ Mitte zu euren Gunsten, je höher euer erstes Angebot ist. 

2 Gedanken zu „Die Kunst des Verhandelns

  1. „Eine Beziehung zur anderen Partei aufbauen“ (3. SCHRITT ) wird oft unterschlagen in Rat“gebern“. Wenn man diesen Punkt vernachlässigt, wird aus Verhandlung Kampf. Das ist nur im Grenzfall eine vernünftige Alternative.

    1. Den Punkt „Beziehung zur anderen Partei aufbauen“ halte ich ebenfalls für sehr wichtig. Im Idealfall sollten am Ende einer Verhandlung beide Parteien als Gewinner den Raum verlassen.

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